Schuluntersuchung – staatliche Norm macht das Kind zur Maschine

Ist das Kind glücklich? Nein, das hat sie, die Amtsärztin, nicht gefragt. Sondern wichtig war, ob er die kleinen Fingerchen überkreuzen konnte. Wir sprechen von der Untersuchung des Gesundheitsamtes, ob ein Kind „schulfähig“ ist. Ja, eine kleine Fingerübung ist wichtiger als alles andere, als die Lebenssituation oder soziale Kompetenzen. Es ist absurd. Die Eltern spielen in dieser Untersuchung keine Rolle, sie werden nicht nur nicht gefragt, sie werden degradiert, denn sie sind befangen. Wir befinden uns vor Gericht. Eltern sind korrupte Zeugen, befangen und subjektiv. Denn: sie lieben ihr Kind, sie könnten es zu positiv sehen. Alle unterliegen dem Generalverdacht: Helikoptereltern.

Kinder sind keine Maschinen

Wo liegt der springende Punkt? Der Staat denkt, seine Tests entsprechen naturwissenschaftlicher Objektivität. Das Kind wird als Maschine betrachtet, alle haben gleich zu funktionieren. Wer nicht mit geschlossenen Augen auf einem Bein hüpfen kann, ist psychosozial gestört. Ja, so hätten sie es gerne. Mit ihren Intelligenztests wollen sie naturwissenschaftlich objektiv sein. Sie wollen ein Kind berechnen wie sie die Schwerkraft berechnen. Wer nicht die obrigkeitlich festgelegte Norm erfüllt, bekommt den Stempel: Versager. „Leider darfst du die Schule noch nicht besuchen.“ Wird das den Eltern gesagt? Nein, dem Kind direkt. Ohne Absprache mit den Eltern. Was passiert dabei in dem Kind? Wie wirkt es, wenn es erfährt, dass es der Norm nicht entspricht, zu schlecht ist? Die psychologischen Folgen interessieren die staatliche Neutralität nicht im geringsten.

Deutsche Gegenaufklärung hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet

Und hier treffen wir auf das Urproblem zwischen Aufklärung und deutscher Gegenaufklärung. Die Naturwissenschaftler waren begeistert von ihren objektiven Erkenntnissen, der Möglichkeit, Natur zu verstehen mit Hilfe der Mathematik. Rationale Erkenntnisse zu haben, die dem Wunderglauben der Kirche etwas entgegensetzen konnten. Die Naturwissenschaft hat die Aufklärung unterstützt, die Vernunft, die Rationalität des Menschen wieder zu entdecken.

Was ist dann passiert? Die Naturwissenschaft hat die Berechenbarkeit auf die gesamte Natur übertragen, auf alle Bereiche. Natur ist nicht nur berechenbare Masse, Natur hat auch Geist. In allen Lebewesen, im Menschen, haben sich Geist und Körper verbunden zu einem Ganzen. Teile der Natur sind berechenbar, doch nur diese Teile. Im Ist-Bereich kann man die Naturgesetze berechnen, die Ergebnisse sind objektiv, auch in der Mathematik. Wahrheit ist für alle nachvollziehbar, überall kann man die Berechnungen nachrechnen und kommt auf das gleiche Ergebnis.

Was aber geschieht mit den Erkenntnissen? Wer hat das Recht, damit Erfindungen zu machen und zu bestimmen, was damit passiert? Diese Entscheidungen fallen nicht mehr in diesen objektiven naturwissenschaftlichen Bereich, sondern in den moralischen Bereich des Sollens. Der Soll-Bereich betrifft den Geist, die Vernunft, die Psyche des Menschen. Die Übertragung der Berechenbarkeit auf die gesamte Natur hat den Menschen zur Maschine gemacht, auch die Natur in ihrer Gesamtheit. Die Evolution ist kein berechenbarer Vorgang, in der Natur selbst existiert freier Geist, nenne man es Zufall oder nicht berechenbare Veränderung und Entwicklung.

Was müsste die richtige Kritik an der Naturwissenschaft und auch Aufklärung sein, wenn man die Programmierbarkeit des Menschen angreifen will? Genau diese: Naturwissenschaft kann die berechenbaren Teile der Natur berechnen und die Naturgesetze erkennen. Doch wo der Geist beginnt, hört diese Berechenbarkeit auf. Lebewesen unterliegen nicht dieser Berechenbarkeit, nicht mal ihre Körper. Die Geisteswissenschaften hätten diese Kritik bringen müssen und selbstbewusst die Moral, das Sollen, auch die Psyche des Menschen auf ihre Fahnen schreiben müssen. Hier gibt es sehr wohl Rationalität, allgemeine Vernunft. Aber nicht als wissenschaftlich beweisbare Wahrheit. Die Geisteswissenschaften können und sollen Wahrheit suchen, aber nicht auf quantifizierbarer Programmierbasis, sondern mit demokratischer Grundlage, dem Dialog und freiem Lernen. Leider empfanden sie angesichts der Objektivität der Naturwissenschaften einen Makel. Sie fühlten sich zu unwichtigen Blabla-Bereichen degradiert, wo es keine Beweisbarkeit von Wahrheit gibt. Also wollten sie sein wie die Naturwissenschaften und haben die Berechenbarkeit auf den Menschen übertragen.

Auf demokratischer menschenrechtlicher Grundlage kann jeder individuell seinen Weg finden

Die Kritik der Deutschen an der Aufklärung – dort, wo sie sinnvoll war, ist sie ins Falsche gekippt. Nun sollte alles der objektivierenden Quantifizierung untertan gemacht werden. Die Naturwissenschaft wurde zur neuen Priesterschaft, die Naturwissenschaft stellte sich in den Dienst des Glaubens. Menschen sollen Maschinen sein, Natur soll von der Welt der Maschinen zerstört werden. Psychologie und Medizin wollen den Menschen als programmierbare Maschine berechnen und bewerten. Alle Menschen sollen genau gleich funktionieren. Genau das ist ein Witz. Kinder, Menschen, sind nicht gleich. Sie entwickeln sich ganz verschieden, insbesondere in einer Gesellschaft, in der die Menschen in verschiedene Klassen eingeteilt und völlig verschieden behandelt werden. Wer den Kindern gleiche Chancen anbieten will, der muss beachten, dass sie von verschiedensten Startpositionen beginnen. In einer offenen demokratischen Gesellschaft haben alle Menschen gleiche Rechte, sie werden gleich behandelt und sollen möglichst gleiche Lebensbedingungen haben. Das ist die Basis der Menschenrechte, der Moral, des Sollens.

Demokratie macht die Menschen nicht gleich, sie gibt ihnen die Freiheit, sich individuell zu entwickeln

Deshalb sind Menschen in ihrer Persönlichkeit aber nicht gleich, im Gegenteil. Diese demokratische Basis gibt jedem Menschen, jedem Kind, die Möglichkeit, sich seinen Weg zu suchen, sich in seinem Tempo zu entwickeln, seine Interessen zu finden. Der Bereich der demokratischen Teilhabe, der politischen Aktivität, der freien Meinungsäußerung – der ist für alle gleich und hier müssen alle die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben. Auf der anderen Ebene aber gibt es keine Vorgabe der Gleichheit, hier ist Verschiedenheit durchaus sogar sinnvoll. In einem Orchester brauchen wir nicht nur Posaunisten, nicht nur Geigenspieler, wir brauchen viele verschiedene Instrumente, die sich ergänzen und zusammen ein Orchester bilden.

Jeder Mensch kann auf seiner persönlich individuellen Ebene frei entscheiden, welche Interessen er hat, wie er leben will. Nur die Grundlage der Demokratie, die Grundrechte, die sind für alle gleich und eben gerade die Basis dafür, dass jeder möglichst frei leben kann. Schwul, lesbisch, hetero, Maler, Handwerker, Musiker, Forscher – das alles sind freie individuelle Entscheidungen. Oder auch gerade nicht nur eines im Leben zu tun, sondern viele Dinge ausprobieren, in vielen Bereichen sich zu entfalten. All das ist demokratisches Leben, eine offene Gesellschaft, die die verschiedenen Menschen in ihrer Verschiedenheit akzeptiert und nicht unterdrückt. Nur die demokratische Grundlage darf nicht angetastet werden, hier muss Demokratie wehrhaft sein.

Kinder gleichmachen ist Quälerei. Da Kinder nicht gleich sind, entsprechen nur manche den Vorgaben, die der Staat vorgibt. Wie sie genau mit sechs Jahren zu funktionieren haben, das bestimmt hier die Obrigkeit Staat, genau das entspricht nicht einer offenen Gesellschaft, entspricht nicht den Grundrechten des Kindes auf freie Entwicklung. Intelligenztests sind willkürlich festgelegte Aufgaben, die von oben herab als Norm festgelegt werden, denen ein Mensch zu entsprechen hat. Damit werden Kinder zu Maschinen degradiert und ihre Eltern zu Versagern, wenn ihrer Kinder dieser funktionalen Norm nicht entsprechen. Unsere Gesellschaft verbietet humane Visionen, weil sie diese für totalitär hält. Sie verwechselt das Ziel mit der Methode. Und die Folge ist, dass wir in einer inhumanen Gesellschaft leben. Die Lehrer sind oft nur daran interessiert, die Kinder zu demütigen, ihnen jede Motivation zu rauben, ihre Leistung zu diffamieren. Weil sie selbst nie anerkannt wurden. Wer selbst nicht menschlich behandelt wurde, kann auch andere nicht menschlich behandeln. Die Lehrer wurden als Kinder in vorgegebene Formen gepresst, und nun tun sie das mit der nächsten Generation. Wir müssen ausbrechen aus diesem Teufelskreis.

Führen die Tests zu mehr Unterstützung für die Kinder? Nein.

Folgt denn irgendetwas aus den ganzen Tests für die Kinder? No, nein, nada. Lediglich Stoff für die Medien, die damit Schlagzeilen produzieren können wie: „Heutzutage kann kein Kind mehr auf einem Bein hüpfen, wo sind wir hingekommen?“ Warum gibt es keine Kritik an der Politik, an der Regierung, die unser Bildungssystem vor die Hunde gehen lässt? Will eine Frau Merkel, eine Große Koalition frei denkende, aktive Demokraten, die sich für ihre Gesellschaft einsetzen? Nein, sie wollen keine selbstbewussten Bürger, sondern vom arbeiten müde Menschen, die nichts in Frage stellen.

Ausgerechnet die Kinder sind es jetzt, die ausbrechen, die den Erwachsenen zeigen, was wir verändern müssen, um die Menschheit zu retten. Die Kinder sind tausendmal vernünftiger als die Erwachsenen, die darauf wütend sind und erst recht draufschlagen, um den renitenten Nachwuchs mundtot zu machen. Ich hoffe sehr, dass es ihnen nicht gelingen wird. Die Kinder werden ihre Unterdrückung nicht mehr akzeptieren und für ihre Freiheit kämpfen, immer mehr Eltern unterstützen sie. Schule muss anders – dieses Projekt hat schon sehr viele Unterstützer. Gesellschaft muss anders – dafür müssen wir kämpfen. Eine Demokratie lebt von selbstbewussten Individuen, die frei ihren Lebensweg entwickeln können. Das fängt an mit einer freien Kindheit. Mit humanen Kitas und Schulen, die für alle Kinder da sind und sie nicht von Anfang an in Gewinner und Verlierer einteilen.

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