Zum Inhalt springen

Neoliberale Forderungen auf dem Prüfstand: Wie gerecht und demokratisch sind sie wirklich?

Philosophie hängt mit vielen Bereichen zusammen, besonders auch mit der Politik und der Wirtschaft. Wie können wir die Grundwerte wie Gerechtigkeit umsetzen, wenn nicht genau hier?

Wie demokratisch ist der Neoliberalismus? Eine philosophisch-politische Kritik

Wirtschaftspolitik ist nie neutral – sie spiegelt immer auch ein Menschenbild und gesellschaftliche Werte wider. Doch was passiert, wenn neoliberale Forderungen wie ‚mehr Markt, weniger Staat‘ zur dominierenden Ideologie werden? Stehen sie noch im Einklang mit Grundprinzipien wie sozialer Gerechtigkeit oder untergraben sie gar die Demokratie?

In diesem Artikel analysieren wir die zentralen Argumente des Neoliberalismus:

  • Welche Berechnungen legitimieren seine Forderungen?
  • Wer profitiert – und wer bleibt auf der Strecke?

Wir wollten wissen: wie demokratisch, wie gerecht sind diese Forderungen? Und wie faktenbasiert sind die Berechnungen, auf die sich ihre Argumente stützen?
Denn letztlich geht es um die Frage: Welche Gesellschaft wollen wir?

Forderung 1: Der Sozialstaat ist zu teuer und sollte reduziert werden.

Sozialstaat – Kosten und Nutzen

Argumente (Pro):

  • Kosten: Sozialleistungen wie Bürgergeld und Renten belasten den Staatshaushalt.
  • Anreize: Zu hohe Sozialleistungen könnten Arbeitsanreize verringern.
  • Effizienz: Der Sozialstaat ist oft bürokratisch und ineffizient.

Gegenargumente (Contra):

  • Soziale Sicherheit: Der Sozialstaat schützt vor Armut und sichert gesellschaftlichen Zusammenhalt.
  • Wirtschaftlicher Nutzen: Sozialleistungen stabilisieren die Nachfrage und wirken als Konjunkturpuffer.

Fakten:

Aktuelle Zahlen (Stand 2023):
Anzahl der Bürgergeld-Beziehenden: Ca. 5,5 Millionen Menschen (Quelle: verdi)

  • 1,5 Mio. sind nicht erwerbsfähige Kinder unter 15 Jahren
  • 820.000: Aufstockendes Bürgergeld – diese Menschen arbeiten bereits und können davon nicht leben
  • ca. 700.000: stehen dem Arbeitsmarkt nur eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung (in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme, gehen zur Schule, studieren, pflegen Angehörige, erziehen Kinder etc.)
  • 1,8 Mio: stehen dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung
  • ca. 14.000: verweigern nachhaltig die Aufnahme einer Arbeit

Kosten: Die Ausgaben für Bürgergeld machen einen geringen Teil des Staatshaushalts aus: 42,6 Milliarden Euro im Jahr 2023 (ca. 1–2 % des BIP).

Insgesamt (Bürgergeld + Arbeitslosgeld) sind 3,5 Mio. Menschen arbeitslos. Es gibt ca. 1,5 Mio. offene Stellen. Hier sieht man also schon rein rechnerisch, dass es nicht genug offene Stellen für alle gibt. Dazu kommt natürlich, dass nicht jeder Arbeitssuchende auf jede angebotene Stelle passt. Zu argumentieren, dass wir hier viel einsparen könnten, ist einfach unlogisch und falsch.

Forderung 2: Steuern müssen gesenkt werden

Unternehmens- und Einkommenssteuern sollten gesenkt werden, um Wachstum zu fördern.

Argumente (Pro):

  • Wettbewerbsfähigkeit: Niedrigere Steuern machen Deutschland attraktiver für Unternehmen.
  • Investitionen: Steuersenkungen könnten Unternehmen dazu anregen, mehr zu investieren.
  • Entlastung: Senkung der Einkommenssteuer entlastet vor allem Gutverdiener, die einen großen Teil der Steuern zahlen.

Gegenargumente (Contra):

  • Ungleichheit: von Steuersenkungen profitieren vor allem Reiche und Unternehmen, während Niedrigverdiener kaum bis nicht entlastet werden.
  • Investitionslücke: Unternehmen stecken Gewinne oft in eigene Taschen statt zu investieren (z. B. Aktienrückkäufe).
  • Startups: Kleinunternehmer und Startups ohne Gewinne profitieren nicht von Steuersenkungen.
  • Subventionen: Das Subventionsvolumen steigt (von 37,9 Mrd. Euro 2021 auf 67,1 Mrd. Euro 2024), was die Wirkung von Steuersenkungen relativiert.

Forderung 3: Schuldenbremse muss eingehalten werden

Forderung: Die Schuldenbremse soll staatliche Ausgaben begrenzen und Schulden reduzieren.

Argumente (Pro):

  • Nachhaltigkeit: Hohe Schulden belasten zukünftige Generationen.
  • Stabilität: Eine Schuldenbremse verhindert übermäßige Staatsausgaben und Inflation.
  • Vertrauen: Geringe Schulden stärken das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft.

Gegenargumente (Contra):

  • Wachstum: Andere Länder (z. B. USA, Japan) haben höhere Schulden, aber auch stärkeres Wirtschaftswachstum.
  • Schulden:
    • Deutschland: Ca. 65–70 % des BIP.
    • USA: Über 120 % des BIP.
    • Japan: Über 260 % des BIP.
    • Frankreich: Ca. 110 % des BIP.
    • Italien: Ca. 150 % des BIP.
  • Investitionen: Die Schuldenbremse begrenzt staatliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz – hier zeigt sich, dass wir zukünftige Generationen damit sehr wohl belasten. Ansgesichts der Tatsache, dass wir in Zukunft einen Bevölkerungsrückgang haben, wird es in Zukunft noch schwieriger, die Infrastruktur zu reparieren, als heute.
  • Vergleich: Alle G7-Staaten sind über 100 % verschuldet, Deutschland liegt deutlich darunter:

Forderung 4: Der Staat muss sparen

Der Staat sollte Ausgaben reduzieren, um effizienter zu wirtschaften.

Argumente (Pro):

  • Effizienz: Sparmaßnahmen können Bürokratie abbauen und Verwaltungskosten senken.
  • Prioritäten: Weniger Ausgaben zwingen den Staat, Prioritäten zu setzen.
  • Beispiele:
    • Bürgergeld: Kritik an Höhe und Umfang.
    • Ministerien: Reduzierung von Politikberatern.
    • Verwaltung: Entbürokratisierung.

Gegenargumente (Contra):

  • Soziale Folgen: Sparmaßnahmen treffen oft Schwache (z. B. Kürzungen bei Sozialleistungen).
  • Investitionsstau: Sparen verhindert notwendige Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien.
  • Nominalzahlen: Oft werden große Zahlen genannt, ohne sie ins Verhältnis zu setzen (z. B. Bürgergeld-Kosten im Vergleich zu Rüstungsausgaben).
  • Deregulierung: Typischerweise soll zugunsten der Arbeitgeber und zulasten der Arbeitnehmer dereguliert werden. Das sind z.B. Auflagen zum Klimaschutz, Bauvorschriften, Lieferkettenkontrolle, Arbeitsschutz.

Fazit

Die Analyse zeigt, dass neoliberale Forderungen zwar oft mit Schlagworten wie Effizienz, Wachstum und Freiheit argumentieren, dabei jedoch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen ihrer Politik systematisch vernachlässigen. Die Betonung auf Steuersenkungen, Sparmaßnahmen und Deregulierung mag auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, führt jedoch in der Praxis häufig zu einer Zunahme von Ungleichheit, sozialer Spaltung und wirtschaftlicher Instabilität.

Neoliberale Forderungen ignorieren oft, dass Wachstum allein kein Garant für gesellschaftlichen Wohlstand ist, wenn die Früchte dieses Wachstums ungleich verteilt werden. Die Senkung von Unternehmens- und Einkommenssteuern entlastet vor allem Gutverdiener und Großkonzerne, während Geringverdiener und der Mittelstand kaum profitieren. Gleichzeitig werden öffentliche Leistungen wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur durch Sparmaßnahmen ausgehöhlt, was langfristig die Lebensqualität aller Bürger:innen verschlechtert.

Die Schuldenbremse und der Ruf nach Sparpolitik werden oft als notwendige Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung dargestellt. Doch diese Politik führt dazu, dass Investitionen in Zukunftsthemen wie Klimaschutz, Digitalisierung und soziale Sicherheit vernachlässigt werden. Andere Länder zeigen, dass höhere Schuldenquoten durchaus mit starkem Wirtschaftswachstum und sozialem Fortschritt vereinbar sind – vorausgesetzt, die Mittel werden sinnvoll eingesetzt.

Zudem wird die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme im neoliberalen Diskurs oft auf das Individuum abgewälzt. Statt strukturelle Ursachen wie ungerechte Steuersysteme, Lohndumping oder mangelnde Regulierung zu bekämpfen, wird der Einzelne für sein Schicksal verantwortlich gemacht. Dies führt zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft und untergräbt den Zusammenhalt.

Eine ausgewogene Debatte muss daher nicht nur die vermeintlichen Vorteile neoliberaler Forderungen beleuchten, sondern auch deren Risiken und langfristigen Folgen kritisch hinterfragen. Es geht darum, eine Wirtschaftspolitik zu gestalten, die nicht nur auf Effizienz und Wachstum abzielt, sondern auch soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und demokratische Teilhabe fördert. Nur so kann eine Gesellschaft entstehen, die für alle Menschen lebenswert ist – und nicht nur für eine privilegierte Minderheit.

Zusammenfassung:

ForderungArgumente (Pro)Gegenargumente (Contra)
Steigende PreiseMarktmechanismus, Innovation, globale FaktorenSoziale Härten, Marktversagen, hohe Mieten
Sozialstaat reduzierenKosten, Anreize, EffizienzSoziale Sicherheit, wirtschaftlicher Nutzen
Steuern senkenWettbewerbsfähigkeit, Investitionen, EntlastungUngleichheit, Investitionslücke, Startups
Schuldenbremse einhaltenNachhaltigkeit, Stabilität, VertrauenWachstum, Investitionen, Vergleich mit G7
SparmaßnahmenEffizienz, Prioritäten, BürokratieabbauSoziale Folgen, Investitionsstau, Nominalzahlen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert